Der ungewöhnlichste Spieler der NBA lässt Dampf ab (2024)

Er ist unverkennbar: ein Monster-Athlet, ein Prototyp, einer wie keiner sonst in der NBA. Nachdem Zion Williamson lange mit Verletzungen und fehlender Konstanz zu kämpfen hatte, ist er in dieser Saison endlich gesund – und hat seine Pelicans heimlich als Top-Team etabliert.

New-Orleans-Pelicans-Forward Naji Marshall brachte den Ball in der Mitte des Spielfeldes nach vorne, als sein Teamkollege auf der Außenbahn in Transition Fahrt aufnahm. Marshall lobte den Pass von der Mittellinie in Richtung Korb, ins Nichts, so schien es. Pacers-Guard Tyrese Haliburton sprang nach oben, um den Ball abzuwehren. Urplötzlich kam aus dem toten Winkel Zion Williamson angeflogen, stand eine volle Sekunde länger in der Luft als der Mann aus Indiana, fing das Spielgerät mit beiden Händen und stopfte es per Alley-Oop durch die Reuse.

Gegen die Brooklyn Nets vergangene Woche, fast die exakt gleiche Situation: Marshall klaute den Ball von Cam Thomas im Halbfeld, sprintete nach vorne und schmiss den Ball kurz vor dem Korb einfach blind über die eigene Schulter nach hinten, hoch ins Dunkel des Barclays Center. Mittlerweile war auch Williamson in der Szenerie aufgetaucht, hob ab wie von einem Trampolin katapultiert, Arme und Beine weit ausgestreckt, und produzierte eines der spektakulärsten Poster dieser Saison. Seine Mannschaftskollegen auf der Bank waren aus dem Häuschen, die Kommentatoren überschlugen sich, Williamson selbst legte seine Stirn in Falten, wie immer, wenn er "es" fühlen kann.

New Orleans fuhr derweil den nächsten Sieg ein, 44 sind es bereits in dieser Saison, bei 27 Niederlagen. Neun ihrer letzten elf Partien haben die Pels gewonnen. Drei Wochen vor Ende der regulären Saison fighten sie um den Heimvorteil in der ersten Playoff-Runde, liegen nur knapp hinter den LA Clippers auf Rang vier im Westen. Sollte die Siegesquote (62 Prozent) halten, es wäre die höchste seit 2008 und die zweithöchste in der Franchise-Geschichte New Orleans' (Hornets von 2002/2013, seither Pelicans). Ein endlich fitter, fokussierter und dominanter Zion Williamson trägt daran den Hauptanteil.

Einer wie Keiner

Die meisten Spieler in der NBA scheinen aus ein und derselben Form gegossen: Zwei Meter groß, knapp 100 Kilogramm schwer, mit ähnlichen Fähigkeiten ausgestattet: verwandte Bewegungsmuster, solide im Dribbling sowie mit dem Sprungwurf, durchschnittlich athletisch an beiden Enden. Williamson passt in so gut wie keinen dieser Zuschnitte, außer der Größe vielleicht. Alles andere ist so einmalig wie unverwechselbar, egal ob sein Körpergewicht (mehr als 120 Kilogramm), seine Explosivität oder seine Dampframmen-Drives zum Korb. Als sie im College seine Sprungkraft (1,15 Meter) messen wollten, mussten sie das ganze Equipment austauschen, weil sie nicht genügend Zentimeter auf dem Messband hatten.

Seine Fähigkeiten am Ball, bei diesen körperlichen Vorzügen, heben Williamson von seinen Zeitgenossen ab. Aufgewachsen als traditioneller Spielmacher, schoss er zwischen der 8. und 10. Klasse um mehr als 20 Zentimeter in die Höhe, auf seine heutigen 1,98 Meter Länge. Seine Dribbling- und Guard-Skills steckten urplötzlich im Körper eines ausgewachsenen Mannes, die Athletik passte sich ein paar Monaten mit großen Wachstumsschmerzen ebenfalls an. Über Nacht gesegnet mit schier unmenschlicher Power, Beschleunigung und Sprungkraft, begann der Teenager zu dominieren. Die College-Stipendien flatterten in den Williamson-Haushalt, Zion entschied sich für die berüchtigte Duke University von Coaching-Legende Mike Krzyzewski. In seiner ersten Partie für die Dookies legte der Five-Star Rekrut 28 Punkte in 23 Minuten auf.

Seine Highlights ließen ESPNs "SportsCenter" glühen. Alley-Oops, Monsterblocks und 360-Grad-Windmill-Dunks liefen auf Dauerschleife und machten ihn zum begehrtesten Nachwuchsspieler des Landes. Als ihm während eines Top-Spiels gegen Erzfeind North Carolina bei einem seiner wuchtigen Drives der Nike-Schuh riss und er sich verletzte, fiel der Aktienwert des größten Sportartikelherstellers über Nacht um mehr als eine Milliarde US-Dollar. Seine Produktivität und sein Einfluss machten ihn nach einer der besten Freshman-Saisons aller Zeiten in der NCAA zum unangefochtenen Nummer eins Pick; "Jordan" gab ihm den zweitteuersten Schuh-Deal für einen Rookie (75 Millionen US-Dollar) in der Geschichte; die Pelicans sicherten sich im Draft 2019 seine Rechte.

Mehr Monster-Frust als Monster-Highlights

In der NBA angekommen, passierte aber zunächst viel weniger als erwartet. Bereits in der Preseason, noch vor seinem ersten offiziellen Profispiel, riss er sich den Meniskus und verpasste direkt drei Monate. Zwar gelang es ihm später, mit 22,5 Punkten pro Spiel und einem beeindruckenden Highlight-Mix zu überzeugen. Allerdings stand er nur in 24 Partien auf dem Parkett. Und obwohl er als erster Frischling seit Michael Jordan 16 Mal in seinen ersten 20 Einsätzen mindestens 20 Punkte erzielte, ging die Rookie of the Year Trophäe an seinen ehemaligen Kollegen aus Kindestagen, Ja Morant.

Im Jahr darauf zeigte er dann zum ersten Mal, was alles in ihm steckt und wieso er eine Franchise anführen kann: 27 Punkte im Schnitt, der Sprung ins All-Star Team, unterwegs in den Fußstapfen von Kareem Abdul-Jabbar, Shaquille O'Neal oder Wilt Chamberlain. Die Pelicans verpassten zwar die Playoffs, aber Williamson schien auf dem richtigen Weg. Nur wenige Wochen nach Ende seiner Sophom*ore-Saison brach er sich im Sommer den Fuß und fiel die gesamte Spielzeit 2021/22 aus.

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Dass die Pelicans dennoch seinen Vertrag verlängerten und bereit waren, ihm 193 Millionen US-Dollar für fünf Jahre zu zahlen, bestätigte ihn als klaren Fixpunkt dieses Klubs. Williamson machte genau dort weiter, wo er vor seiner Verletzung aufgehört hatte: Er dominierte erneut am Brett wie vor ihm nur "Shaq", schaffte erneut den Sprung zum All-Star - und verletzte sich im Januar erneut schwer genug, um den Rest der Saison zu verpassen, ebenso wie sein Team die Playoffs. Die Skeptiker wurden immer lauter: Ist Williamsons Körper zu schwer, zu verletzungsanfällig, sein Spiel womöglich einfach nicht für die NBA gemacht? Klar, die Zahlen und die Produktivität wirken beeindruckend, wenn er spielt. Wenn ...

Das Biest ist zurück – und mit ihm die Pels

Auch in dieser Saison sah vieles zunächst gewohnt problematisch aus auf "Planet Zion" – und damit auch bei den Pelicans. Ein katastrophaler 4:6-Start drohte alle Ambitionen und das gesamte Projekt in "The Big Easy" platzen zu lassen. Spätestens, als New Orleans im Play-In Turnier eine 44-Punkte-Pleite gegen die Lakers kassierte, bei der Williamson weit unter seinen Möglichkeiten blieb, waren er, sein Übergewicht und sein schwächelnder Klub ein gefundenes Fressen für die Boulevard-Presse. Seither ist es ruhig geworden um Williamson und seine Pels.

Die haben sich seit dem Jahreswechsel heimlich, still und leise als eines der besten Teams der NBA etabliert. Nur fünf Teams ligaweit haben mehr Siege eingefahren, nur drei haben ein besseres Net-Rating und eine bessere Punktedifferenz. Top-Ten-Plätze sowohl im Angriff (10.) als auch in der Verteidigung (6.) haben New Orleans als die Sorte Schläfer-Contender angekündigt, dessen statistisches Profil durchaus suggeriert, dass in den Playoffs etwas mehr gehen könnte, als viele Beobachter vielleicht auf dem Schirm haben.

Das Team ist gespickt mit vielseitigen Rollenspielern wie CJ McCollum, Herb Jones, Trey Murphy III und Jonas Valanciunas, die Williamson und Co-Star Brandon Ingram den Rücken freihalten. Williamson, der Quellen zufolge seit dem Jahreswechsel mehr als zehn Kilogramm abgenommen hat, ist im Gegensatz zu früheren Saisons vom Pech verschont geblieben und steht kurz davor, seinen persönlichen Rekord (61) für die meisten absolvierten Partien in einer Saison zu knacken (derzeit bei 60). Verletzungen, Rückschritte, öffentliche Demütigungen und wankendes Vertrauen in seinen Körper haben sein Spiel verändert.

Plötzlich spielt er anders

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Die Dunks, Blocks und die pure Power, all das ist immer noch da, an der Oberfläche blubbernd, allzeit bereit, überzusprudeln. Aber seine Herangehensweise ist anders. Bedachter, methodischer, intelligenter. Er scheint verstanden zu haben, dass die Höhen und Tiefen weniger erstrebenswert sind als Konstanz, und dass jegliche persönliche Errungenschaften und Highlights nicht viel wert sind, wenn der Teamerfolg nicht mit im Gepäck steckt. Sein Scoring mag gesunken sein, seine Assist-Rate aber ist höher denn je. "Point Zion" dominiert, aber anders.

Die Pelicans haben 18 aus 24 Partien gewonnen. Seit Anfang Januar weisen nur die übermächtigen Boston Celtics ein besseres Net-Rating auf. Es lief ausgezeichnet, ehe sich Ingram – der zweitbeste Scorer des Teams – am Knie verletzte und jetzt mehrere Wochen ausfällt. Das stellt den Klub auf die Probe, auch weil nur drei Teams ein schwereres Restprogramm vor der Nase haben: Neun der letzten elf Partien finden gegen Playoff-/Play-In-Teams statt. Und spätestens in den Playoffs wird Williamson dann zeigen müssen, dass er die guten Leistungen der vergangenen Monate, sein Playmaking und seine neue Agilität am defensiven Ende auch auf der größten Bühne abrufen kann. Glaubt man dem Superstar selbst, ist er noch immer gute 10 bis 15 Prozent davon entfernt, wieder "der echte, der alte Zion zu sein". Wehe der NBA, wenn das Monster erst einmal seinen eigenen Schatten wieder eingeholt hat.

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